Ich sah zwischen den Baumstämmen
seinen abstehenden Armstumpf,
an dem ein Marmeladeneimer
baumelte, randvoll mit
Knollenblätterpilzen, Gifthäublingen
und Spitzgebuckelten Rauköpfen.
Er wollte mich lehren, zu kochen
eine Speise aus Gras, Kräutern und Gift.
Nimm nichts von Fremden! Da schlug
er mich mit seinem Atem nieder.
Ich fand Rettung, wie so oft,
im Schatten der Buchen.
Gestorben ist er Jahre später
an Einsamkeit, verborgen hinter einem
Vorhang aus strömenden Regen.
Seine Rezepte nahm er mit ins Grab.
Solange ich glaube, daß Du mein Wesen liebst,
brauche ich nur zu warten. Um meine Ohren und Augen
mache ich mir keine Sorgen. Die Tage und Nächte scheren sich
nicht um unsere Zustände. Immer häufiger scheitere ich beim
Überspringe des Stöckchens und verlaufe mich im Trüben
umgeben von Stille.
Solange ich etwas glaube, hört es niemand. Zwischen Traum und
Geschichte schwinden die Abstände. Da kann ich zwei Stufen auf einmal
nehmen. Der letzte Sturz ist absehbar. Es geht um Bewegung, nicht um
Hoffnung oder Unsterblichkeit. Dabei denke ich mit Sorgfalt an dich,
obwohl die Welt vor dem allerletzten Schritt steht. Nur die Fische sind
ahnungslos.
Irgendetwas in unserer Nähe, treibt mich zur Flucht.
Denn schön sind wir nur auf Distanz. Deine Umarmung auf der
Türschwelle ergreift nur die Form des ersten Eindrucks.
Verrat könnte im Spiel sein, diese tückische Kugel im Kreislauf.
Die Art und Weise wie du den Tee einschenkst, befiehlt mir
zu hören und zu sehen. Jedes Wort wie ein heißer Bissen
auf der Zunge dreimal gedreht. Und die Hoffnung auf ein wenig
Zartgefühl umgeben von Sang und Klang. Schweigen macht
nicht unsichtbar, gehört aber zum Hokuspokus meiner Auftritte.
Ich sehe dich in der ersten Reihe, kurz bevor der Vorhang fällt.
»…ich, meine freunde, wir gehen, wir reden
immer ein menschliches wort.“
(Wulf Kirsten, aus „die
erde bei Meißen“,
„woherwohin“)«
Hinter uns Taupadel, vor uns der
Alte Gleisberg.
Dort sahen wir ein Gewitter und merkten, wo die Blitze Wunden am Hang geschlagen hatten.
Purpurn quollen Blutstropfen unterm Wiesendunst hervor. Die Blüten der Pfingstrosen. Mit dem
Wurzelstock in der Hand begannen wir die Flur neu zu vermessen und verschoben die
Grenzsteine unserer Erinnerungen. Auf der Höhe sahen wir die Brandnarben in den Wiesen. Die
laute Welt murrte fern. Nur eine Goldammer sang das Lied von der Einsamkeit. Da capo, da
capo, al fine. Abstieg durch die Buchenhallen des Nordhangs. Ratlos hielten wir Rast am
verlassenen Dachsbau. Und sahen überwinterte Blätter wie unsere Träume zu Tal wirbeln. Wir
trafen uns mitten in jener Zeile wieder: Auch das Vergangene ändert sich täglich. Also
ließen wir die Flasche kreisen und tischten auf unseren toten Wandergenossen. Was für ein
Fest. Hinter Löberschütz wären wir beinahe am Rand einer stillgelegten Strecke auf das
Abstellgleis geraten. Ein Geisterzug fuhr lautlos vorüber. Wir wendeten uns nicht. Rüttelnd
stand der Bussard im letzten Blau. Unser Tagwerk beschlossen wir Wort für Wort, zwei
Streckenläufer am Ende eines Tages, der keine Lüge gekannt hatte. Vor uns Taupadel, hinter
uns der Alte Gleisberg.
Ich vermaß Abstand und Dauer zwischen zwei Atemzügen.
Sie waren beide gleich.
Also unterschieden sich Zeit und erste Dimension
Nicht mehr.
Ich sah hinter dem geschlossenen Fenster meiner Seele
Noch einen Lichtschein ohne Quelle. Und einen Schatten,
Der meine Anwesenheit voraussetzte.
Maßstab und Stoppuhr fielen mir aus den Händen,
Als ich das Splittern des Fensters hörte, das dem Druck
Der Dunkelheit nicht standzuhalten vermochte.
Mauern gab es nicht mehr.
Der Raum, der mich umschloß, besaß weder Höhe,
Noch Breite, noch Tiefe. Ich sah,
Wie die Erde auf der Milchstraße davonrollte.
Und begann zu fallen.
Vor der endlichen Stille traf mich rechtzeitig
Der schmetternde Schlag eines Buchfinken.
Ohne ihn wäre ich weitergefallen
Und hätte endlich Bescheid gewußt.
Späte Nachrichten aus den vier Ecken der Erde,
wo die Winde die alten Botschaften aus der Weltchronik blasen.
Wolken aus Wörtern und Sätzen in der Helle des Himmels.
Darunter lassen Schattenrisse ihre Köpfe hängen,
Sie fordern im Namen der Bilder
Die Unabhängigkeit von jedwedem Objekt.
Der Regen bleibt aus, weil er keine Illusionen kennt.
Nur dürres Gras träumt noch eine Weile
von Kleeblättern am Wiesenrand, bis es brennt.
Seit dem Fehlen freundlicher Grüße in Wort und Schrift
begehren die abhanden gekommenen Wörter nichts mehr,
Doch die Sprache der Kurzschlüsse führt
Immer häufiger zu Stromausfällen.
Den Begriffen gehen dabei die Bedeutungen verloren, selbst
Sternbilder verwechseln ihre Namen. Der Rest ist Schweigen.
Wenn es endlich dunkel wird,
balanciert der Mensch auf dem Horizont entlang
von einer Ecke der Erde zur anderen und verschwindet so,
wie er gekommen ist, nackt, kläglich und sprachlos.
Schritt für Schritt durch ein Spannungsfeld
Der Ewigkeit entgegen. Die Burg hielt
Stand vor dem aufziehenden Gewitter.
Mauersegler schrieben ihre Geheimschrift
In großen Schwüngen über den Dächern
Der Stadt in den Wind.
Blitzschläge brannten Skizzen
Vom ersten Schöpfungstag in die Netzhaut.
Optische Täuschung als Botschaft.
Die Stufen hoben nicht mehr an.
Sie trugen weg vom Frühlingserwachen.
Jeder Schritt ein Abschied.
Oben angekommen, nur versperrte Tore
Und die Mauern, die standgehalten hatten
Vor dem Ansturm der Hoffnung jeder Zeit.
Die Aussichtspunkte waren menschenleer.
Der Blick, in welche Zukunft auch immer,
Reichte nur bis an die vordersten Linien der Gewitterfront.
Als die ersten Tropfen aufschlugen,
begannen die Dinge des Lebens zu glänzen.
Der Abstieg endete ganz unten,
an der ersten Stufe zur Wirklichkeit.
Hauch von Kaffeeduft und faulem Fisch,
Auf grüner Wand ein regungsloser Schatten,
Vor dem Fenster geht in Ruh und Schweigen
Der Herbst zu Grunde und die Unschuld
Legt den Finger in die Wunde.
Die Zeit tropft aus dem Wasserhahn und
Teilt die Stille in zwei Teile. Davor, danach,
In der Mitte nichts.
Das Grau der Tage im Besitz der Leere.
Warten auf die letzte Ankunft vor
Geschlossenen Türen.
Am Rand des Lebens verkündet eine Stimme:
Mag es hart sein oder mild,
Endgültig ist das hier gefällte Urteil.
Allein die Vögel sind längst auferstanden,
Weit weg
Erfüllt ihr Loblied das Paradies.
Hauch von Kaffeeduft und faulem Fisch,
Auf grüner Wand ein Schatten, der sich regt
Und Platz nimmt am leeren Tisch.
Die Kirche am anderen Ufer schwankte leicht im Schall und Widerhall der Glocken. Der Hahn,
von der Kirchturmspitze durchbohrt, schien mit seinen schwarzen Flügeln den Takt zu
schlagen.
Das Weinlaub erzitterte unter einem Windhauch, der die Blumenblüten auf dünnen Stängeln in
einem Duft aus Rose, Minze und Thymian
schwanken ließ.Entlang der Dorfstraße verliefen sich die bunten Häuschen flußauf, flußab,
als läge vor ihnen noch ein weiter Weg bis ans Ende der Tage.
Ein Fenster schlug zu und ein Tor ging auf. Katzen jagten fliehende Schatten. Ein Hoch auf
den Grüner Veltliner, der überfloß, hinab in die trunkenen Wirbel der Donau. Der Fluß war
ohnehin die Ursache aller Bewegung zu Wasser und zu Lande.
Da kam das Schiff ohne Segel und fuhr grußlos vorüber. Ein Fähnchen am Heck flatterte
widerwillig. Ein Kind hob die Hand und winkte, winkte, bis die Hand wie ein abhanden
gekommener Gegenstand wirkte. Und winkte und winkte.
Die Kirche flußüber stand wieder still.
Der Turm verbeugte sich vor den Walnußbäumen, die standgehalten hatten im Schall und
Widerhall der Glocken am Ufer der Donau.
Würde die Donau rückwärts fließen, dann wüßten wir mehr von der Venus von Willendorf, die zwischen Groisbach und Spitz in die Erde sank und nichts ahnte vom frischen Gleisbett der Eisenbahnstrecke gen Krems, auf der sie sorgsam verpackt ihre Reise in die Kunstgeschichte antrat. Endstation Naturhistorisches Museum Wien, wo man in den außerordentlichen Proportionen ihres Leibes zwischen Brüsten und Gesäß die Weltharmonie fand.
Die andere Seite der Stille warf Schatten unter die Linden, die in Schweigen gehüllt den Duft der eigenen Blüten atmeten. Ihre Kronen breiteten sich taktvoll über Gräbern aus. Namen in Stein gehauen, als könnte dadurch dem Vergessen Einhalt geboten werden. Ketten begrenzten zu allem Überfluß die letzten Heimstätten. Die Namen vermochten das Unabänderliche auch nicht zu ändern. Erinnerungen meldete sich im Gesang eines unbekannten Vogels, der sich unterm Laub des Efeus verbarg. Anfang und Ende waren zu Stein geworden. Ein Schild wies darauf hin, daß Abfälle auf den Kompost am Ausgang gehören. Zuwiderhandlungen würden bestraft.
Der Heilige schwang anmutig das Kreuz über seinem Haupt und kokettierte mit einem kleinen Heiland. Er übersah hartnäckig das gefrorene Lächeln zwischen den schwellenden Lippen eines Puttos zu seinen Füßen. Die Häuser rings um den Marktplatz bildeten seine Gemeinde. Das Kloster auf dem Felsen über ihren Dächern breitete seinen Schatten unabhängig von Wetterlagen und Jahreszeiten über die Stadt. Also versuchte der Heilige Trost zu spenden mit dem kreisenden Kreuz über allen Häuptern. Die Häuser nahmen davon keine Notiz. Sie blickten aus blankgeputzten Fenstern, als wäre doch noch ein Ereignis zu erwarten, das sie betreffen würde.
Das Café an der Donau servierte nichts. Serve your selve hieß die
Devise. Kühle Köstlichkeiten, kreative Eiskreationen, Pflaume-Zimt – das Angebot der Woche.
Die Qualität aus Meisterhand kam auf Plastiktellern daher, heiße Getränke im Pappbecher, der
Kunststoff enthielt. Ein graues Brandenburger Tor neben einer einheimischen Marille
schmückte das Gefäß. Dafür betrat man mit kompostierbaren Eislöffeln nachhaltige Pfade, die
direkt zur Geschirrabgabe führten. Trinkgeld bitte hier.
König Kunde räumte gehorsam Pappteller, Pappbecher, kompostierbare Löffel und die Rechnung
ab und drückte sich dann pflichtverloren vor der Reinigung des Tisches mit feuchtem
Lappen.
Beehren sie uns bald wieder.
Ruhig rollten die blauen Wellen der Donau vorüber.
Mit allen Wassern gewaschen, eingetaucht im Fluß, der sein Bett verlassen hat, kein Mensch sah jemals die gänzlich andere Seite des Stroms hinter den wogenden Weiden, wo es zu spät war für neue Entdeckungen. Die Stämme der Bäume von wirbelnden Strömungen umschmeichelt, die den Wasservögeln zum Verhängnis wurden. Von den Brücken segelten die Rettungsringe wie fliegende Untertassen über die Köpfe der Ertrinkenden hinweg, die sich in den Strudeltöpfen aufzulösen begannen. Zärtlich glitt blindes Abendrot über das Chaos hinweg und mäßigte die Schreie von Menschen und Vögeln. Inseln legten von neuen Ufern ab, setzten einsame Birken als Segel und trieben flußabwärts. In den Stuben der Häuser hinter mannshohen Ufermauern, denen das Wasser bis zur Krone stand, beleuchtete warmer Lampenschein den Feierabend.
In Grein sah ich, wie das Gegenlicht sich in meinem Weinglas brach.
Die Lichtsplitter lagen über den Tisch verstreut. Vor mir langweilte sich der Fluß lang
ausgestreckt in seinem Bett. Es roch nach verbranntem Kaffee. Niemand kaufte Blumen um diese
Zeit für seine Frau oder Geliebte. Heute Ruhetag, stand auf einem Schild an der Tür des
Restaurants. Eine Dame im lila Dirndl las trotzdem ihrem Hund die Speisekarte vor. Da sich
beide nicht entscheiden konnten, kehrten sie hungrig zurück in ihre Einsamkeit, während die
Kapelle mit erhobenem Kreuz auf dem Felsen bereit zum Sprung in den Fluß schien. Ich war
Zeuge und schwieg in den Anblick der Bäume am anderen Ufer vertieft. Ihr Laub liebäugelte
mit dem Herbst, der seinen wissenschaftlich exakt vorhergesagten Beginn verpasst
hatte.
Erdfarbe stieg aus den Wurzeln die Stämme empor und verteilte sich über die
Blätter, als wäre nichts weiter geschehen. Ich trank den Wein aus und fegte mit der Hand die
Lichtsplitter zusammen. Blutrot färbte sich das Flußtal.
Vor Persenbeug tauchten letzte Gründe zwischen Prallhang und Sandbank unter, Treibholz und leere Flaschen ohne stille Post schwammen über Untiefen hinweg. Dunkles presste die Augäpfel unter der Brückenwölbung zusammen, der Wind kannte das Geheimnis der Angst. Und du kennst es, ich kenne es, das rauschende Geheimnis, dem die Worte fehlen.
Momentan sind keine Lesungen geplant.